SAGRADA FAMÍLIA, Die Anfänge
Schon auf den ersten Blick erinnert die Sagrada Familia an die riesigen gotischen Kathedralen der europäischen Metropolen: mit ihrem allgemeinen Aussehen, ihrem Stil und ihrer Größe, der Bauzeit, mit ihren gewagten Strukturen und ihrer symbolischen Bedeutung. Und wenn man darüber nachdenkt, ist sogar ihr Zustand der Unvollständigkeit einer der Gründe für ihre Faszination.
Aber nun möchte ich Ihnen noch mehr von der Geschichte dieses steinernen Riesen erzählen, wofür ich unweigerlich über ihren Schöpfer sprechen muss. Über viele Jahrzehnte hat die Baustelle der Sagrada Familia nämlich einzig und allein in der Vorstellung ihres Schöpfers existiert.
Nach drei Jahren Arbeit gab Gaudí eine verwegene Erklärung ab: Für die Fertigstellung der Bauarbeiten könnten zehn Jahre genügen, unter der Bedingung, dass man auf eine Finanzierung von 360.000 Peseten pro Jahr zählen könne. Wie man sich vorstellen kann, war dies ein unerreichbares Ziel, denn die Bauarbeiten basierten damals wie heute allein auf den Spenden der Gläubigen, obwohl man heute auch auf den Erlös der Eintrittskarten zählen kann. Gaudí selbst ging von Haus zu Haus und forderte die Großzügigkeit seiner reichsten Kunden heraus.
Im Jahr 1891 begann man mit den Bauarbeiten der Ostfassade, in einem extravaganten und vergnüglichen gotischen Stil, der mit dem in diesen Jahren entstehenden Jugendstil vermischt wurde. Der Architekt hat ziemlich oft seine Meinung geändert: Zum Beispiel änderte er die geplanten quadratischen Glockentürme in runde Türme um. Am Ende des Jahrhunderts erreichten die vier Türme eine Höhe von 32 Metern. Man konnte dies für jene Zeit schon als eine beachtliche Höhe bezeichnen, aber das Projekt sah vor, dass die zwölf den Aposteln gewidmeten Türme, vier an jeder der drei Fassaden, bis zu hundert Meter hoch werden sollten; der mittlere Turm, das Symbol für Christus, sollte im Falle der Fertigstellung eine Höhe von über 170 Metern erreichen. Bis 1906 wurden die Bauarbeiten fortgesetzt, dann trocknete der Geldfluss allmählich aus. In der Hoffnung, die Spender erneut zu stimulieren, realisierte Gaudí ein Gipsmodell des gesamten Komplexes, aber die Baustelle hatte bereits mehr als 3 Millionen Peseten geschluckt und schleppte sich jahrelang mit extremer Langsamkeit voran, bis die Arbeiten dann im Jahr 1914 ganz eingestellt wurden.
NEBENBEI: Gaudí hat kein einziges schriftliches Wort über die Arbeiten an der Sagrada Familia verfasst und genauso wenig über seine Gedanken im Allgemeinen: Nur sehr selten zeichnete er technische Projekte mit präzisen Abmessungen und er irrte sich immer bei den Berechnungen des Budgets und der Zeitplanung. Wenn Sie Gelegenheit dazu haben, dann sehen Sie sich die Reproduktionen seiner Entwürfe an: Sie sind voll von verrückten Formen der Türme, die sich im Nebel verlieren, schrägen Pfeilern, gemeißelten Ornamenten und Mosaiken aus Keramik. Das sind keine Projekte eines Architekten, sondern die Träume eines visionären Künstlers.